Rheinfall.com

Rheinfall News - Rheinfall Aktuell

Knill.com

08 Maerz 2023

Stromsorgen Datenzentrum in Beringen

Switch to english
SN vom 08. Maerz, 2023

Blick vom 8. Maerz 2023

Blick vom 8. Maerz 2023
 Gemächlich plätschert der Rheinfall vor sich hin. Die
 Trockenheit der letzten Wochen macht sich auch beim mächtigsten
 Wasserfall Kontinentaleuropas bemerkbar. Nichtsdestotrotz plant die
 kantonale Regierung aktuell ein neues Kraftwerk am Rheinfall, das die
 herabströmende Wassermenge drastisch verringern würde. Nicht
 ohne Grund, denn der Stromhunger des Kantons Schaffhausen wird in Zukunft
 deutlich ansteigen.
 
 Der Hauptgrund für diesen Anstieg befindet sich keine drei Kilometer
 Luftlinie vom Schaffhauser Touristenmagnet entfernt. Eine riesige
 Baugrube klafft zurzeit im Industriegebiet der Gemeinde Beringen. Auf
 8000 Quadratmetern entsteht dort eine sogenannte Serverfarm, die
 bei Vollleistung künftig rund 350 Gigawattstunden Strom pro Jahr
 verbrauchen wird. Zum Vergleich: Der Stromverbrauch des gesamten Kantons
 Schaffhausen belief sich 2020 auf 481 Gigawattstunden.
 
 Anzeige # Play Unmute Serverzentrum braucht drei Viertel des
 kantonalen Strombedarfs Die Ansiedelung des Serverzentrums geschah in
 aller Stille. "Es gab kaum öffentliche Informationen zu diesem
 Bauvorhaben, weshalb ich mit einer Kleinen Anfrage aktiv geworden bin",
 sagt SP-Kantonsrätin Eva Neumann.  Dass man einen Stromfresser, wie
 das geplante Serverzentrum, willkommen heisst, während man über
 den Rheinfall als Energielieferant nachdenkt, stösst der Beringerin
 sauer auf: "Für mich ist es unvorstellbar, einen grossen Teil unseres
 Naturdenkmals für die Stromproduktion zu opfern - vor allem, da das
 Potenzial alternativer Energieformen noch nicht ausgeschöpft ist",
 so Neumann.
 
 Auch das Tempo, mit dem das Projekt vorangetrieben wurde, machte
 Neumann stutzig. Von der Einreichung des Baugesuchs bis zur Erteilung der
 Baubewilligung vergingen genau 100 Tage. "Jede Scheune muss normalerweise
 länger auf eine Bewilligung warten. Angesichts der Dimensionen und
 des Stromhungers dieser Serverfarm ist das für mich völlig
 unverständlich", sagt sie.
 
 Mehr noch: Dem Rechenzentrum wurden keinerlei Umweltauflagen gemacht,
 obwohl die geplante Serverfarm zukünftig die Energie von 88
 Gigawattstunden Strom völlig ungenutzt als Abwärme in den
 Beringer Himmel blasen würde. Bei voller Belastung des Rechenzentrums
 könnten damit laut Regierung rund 12 Prozent der Haushalte im Kanton
 beheizt werden.
 
 Serverfarmen gehören zu den grössten Stromverbrauchern der
 Schweiz Verbrauch:
 
 Eine aktuelle Studie, die im Auftrag von "Energie Schweiz"
 durchgeführt wurde, schätzt den Stromverbrauch aller Schweizer
 Rechenzentren und Serverräume für das Jahr 2019 auf 2,1
 Terawattstunden (TWh) oder auf 3,6 Prozent des gesamten Schweizer
 Stromverbrauchs. Fast ein Fünftel (19 Prozent) mehr als 2013. Dies
 entspricht einem Viertel der Jahresproduktion des Kernkraftwerks
 Gösgen.
 
 Vergleich:
 
 Laut einer Erhebung des Verbandes schweizerischer
 Elektrizitätsunternehmen (VSE) wurden im Jahr 2021 8,3 Prozent
 des Schweizer Stroms für den gesamten öffentlichen Verkehr
 gebraucht.
 
 Entwicklung:
 
 Die Studien-Autoren rechnen für die nächsten Jahre, trotz
 Effizienzsteigerung, mit einem weiteren Anstieg des Stromverbrauchs
 der Rechenzentren. Er könne sogar bis auf 4 TWh ansteigen. Grund
 dafür sei die voranschreitende Digitalisierung.
 
 Lichtblick:
 
 Gemäss Studie könnten durch Energieeffizienzmassnahmen rund 46
 Prozent des heutigen Stromverbrauchs der Rechenzentren eingespart werden.
 
 (Quellen: BFE / VSE)
 
 MEHR Digitaler Wildwest: Gesetze fehlen Die Energieverschwendung ist
 möglich, weil noch immer konkrete gesetzgeberische Leitplanken
 fehlen: Für den "Gebäudetyp Rechenzentrum" sind zurzeit auf
 Bundesebene keine speziellen Umweltverträglichkeitsprüfungen
 vorgesehen - trotz des bekannten Energiehungers. Es gibt für
 Datenzentren demnach beispielsweise kaum Energieeffizienzauflagen
 und keine Verpflichtung, ungenutzte Abwärme wieder in den
 öffentlichen Energiekreislauf zu speisen. Die Bundespolitik hinkt
 dem technologischen Fortschritt hinterher. Das sieht die Schaffhauser
 SP-Nationalrätin Martina Munz ähnlich: "Das ist tatsächlich
 ein Mangel. Datenzentren schiessen zurzeit wie Pilze aus dem Boden und
 verbrauchen unheimlich viel Strom. Der Bund ist hier in der Pflicht,
 mit der Entwicklung Schritt zu halten. Aber ich habe Hinweise darauf,
 dass der Bund hier bald eine Verordnungsänderung prüft."
 
 WERBUNG Um abzuklären, ob die zu erwartende Abwärme des
 Serverzentrums doch noch irgendwie genutzt werden kann, hat der Kanton
 immerhin eine Machbarkeitsstudie dazu in Auftrag gegeben. 52'000 Franken
 kostet die - zahlen muss das nicht die Firma Stack Infrastructure,
 sondern der Steuerzahler. Laut mehreren Quellen liegt diese Studie
 bereits seit Ende des letzten Jahres vor. Auf Blick-Anfrage stellt
 das kantonale Baudepartement deren Veröffentlichung noch im Monat
 März in Aussicht.
 
 Im konkreten Fall wird das Nutzen der Abwärme aber nicht so einfach,
 wie Eva Neumann betont: "Es gibt am Bauort kein Fernwärmenetz. Wohin
 also mit der Abwärme?" Skeptisch äussert sich auch Martina Munz:
 "Die Kosten für eine Fernwärmeleitung zur Stadt Schaffhausen
 wären enorm, genauso wie der Wärmeverlust auf der langen
 Strecke. Ausserdem gibt es keine Garantie, dass das Datencenter in 5
 Jahren noch steht."
 
 Thomas Diamantidis von Stack Infrastructure hingegen gibt
 sich auf Anfrage optimistisch, dass eine Lösung in der
 Abwärme-Frage gefunden wird: "In Oslo setzen wir erfolgreich ein
 Wärmewiederverwertungsprogramm um, das bis zu 5000 lokale Haushalte
 beheizt. Wir sind optimistisch, was die Möglichkeit in Schaffhausen
 angeht - aber wir brauchen einen Partner, mit dem wir zusammenarbeiten
 können." Um den massiven Stromhunger des neuen Rechenzentrums zu
 stillen, wird direkt angrenzend an die Bauparzelle der Serverfarm zurzeit
 ein Unterwerk der Schaffhauser Elektrizitätswerke gebaut, damit die
 Serverfarm mit "genügend erneuerbarer Energie versorgt werden kann".
 
 Das Vorhaben treibt Umweltschützern die Sorgenfalten auf
 die Stirn. In einem internen Positionspapier befürchtet die
 Gewässerschutzorganisation "Aqua Viva", dass der zusätzliche
 Bedarf an erneuerbarer Energie vom zu planenden Rheinfallkraftwerk
 gestillt werden könnte: "Es wäre höchst fragwürdig,
 einen Wasserfall von solcher Bedeutung (#) zu zerstören, wenn
 der zusätzliche Strom dann direkt von einem energieintensiven
 Industriezweig aufgebraucht wird, ohne dass Effizienzauflagen gemacht
 werden."
 
 Den Rheinfall mit einem zusätzlichen Kraftwerk noch weiter ausbeuten?
 Ein Sakrileg für den gebürtigen Schaffhauser Walter Leu
 (84). Der ehemalige Präsident der schweizerischen Verkehrszentrale
 (heute Schweiz Tourismus) äussert sich auf Blick-Anfrage
 deutlich: "Ob nun der Rheinfall als Energielieferant für den
 stromfressenden Moloch #Rechenzentrum Beringen# herhalten müsste
 oder für andere Zwecke kannibalisiert wird: Es wäre unredlich,
 Rheinfall-Besucherinnen und -Besuchern Geld aus der Tasche zu entlocken
 und ihnen als Gegenwert einen kastrierten Wasserfall vorzusetzen."
 
Rheinfall.com

Knill+Knill Kommunikationsberatung

Knill.com